Das „Lese Majeste“- Gesetz in Thailand: Die Debatte spitzt sich zu

Das Parlament von Thailand: Die Abgeordneten wollen das umstrittene Gesetz nicht ändern. Bild: Sodacan Lizenz: gemeinfrei Original: Wikimedia Commons

23. Januar 2012
Jost Pachaly, Elaine Haller, Elisabetha Huber
Thailand hat das härteste Lese Majeste Gesetz der Welt. Unlängst hat sich eines der größten Tabuthemen des Landes zu einem der Hauptthemen in der thailändischen Politik entwickelt. In den letzten Jahren ist die Anzahl der Lese Majeste Fälle dramatisch angestiegen: Wurde im Jahr 2000 nur eine Person verurteilt, gab es zehn Jahre später schon 165 Fälle. 94 Prozent der Angeklagten werden zu 3-15 Jahren Haft verurteilt, wobei die Haftstrafen bei mehreren Verbrechen akkumuliert werden können. Mit dem Computerkriminalitätsgesetz (Computer Crime Act), welches 2007 verabschiedet wurde, hat sich die Lage weiter verschärft. Bis 2010 wurden aus angeblich königsdiffamierenden Gründen rund 75.000 Webseiten gesperrt; 57.000 davon allein im letzten Jahr.

Kampagne zur Änderung des Artikel 112

Am 15. Januar 2012 fand eine Veranstaltung statt, die die Diskussion weiter anfachte. Die Kampagne zur Änderung des Artikel 112 (CCAA 112), die u.a. von mehreren Akademikern/innen und Aktivist/innen der Midnight University, Nitirat gestartet worden war, versucht in den kommenden 112 Tagen die notwendigen 10.000 Unterschriften zu sammeln, um dem Parlament die Änderungsvorschläge vorlegen zu können. Die neuen Gesetzesentwürfe wurden von progressiven Rechtswissenschaftler/innen der Nitirat Gruppe verfasst. Das Gesetz solle nach internationalen Standards und demokratischen Prinzipien verändert werden. Vor allem soll die Höhe der Bestrafung heruntergesetzt werden und eine Anklage nur noch durch den Vorsitzenden des Privatsekretärs des Königs erhoben werden können, nicht wie bisher von jeder Privatperson. Der umstrittenste Punkt des Entwurfs ist, dass Verstöße gegen Artikel 112 nicht mehr als Verstöße gegen die nationale Sicherheit gelten sollen; dadurch werden der König und seine Familie im Fall einer Beleidigung als normale Bürger gewertet und nehmen keine Sonderstellung in der Gesellschaft ein. Die öffentliche Veranstaltung fand auf dem Campus der Thammasat Universität statt und erweckte großes öffentliches Interesse. Fachleute, Studierende, Rothemden und Interessierte verfolgten die Vorstellung der Gesetzesentwürfe und eine anschließende Diskussion.

Stellungnahme zu Artikel 112

Die Meinungen für und gegen eine Änderung des Artikels 112 polarisieren mehr und mehr und die Situation zwischen Gegner/innen und Befürworter/innen spitzt sich zu. Vor der Veranstaltung des CCAA 112 gab es bereits Gegendemonstrationen und Unterschriftenaktionen gegen eine Änderung. Für eine Änderung des Artikels 112 sprachen sich neben den Aktivisten der Veranstaltung auch die Truth and Reconciliation Commission aus, die gegründet wurde, um die blutigen Auseinandersetzungen von 2010 aufzuklären und die das Land wieder einigen soll. Es wurde auch ein Petitionsbrief an die Regierung veröffentlicht, in dem acht Personen königlicher Abstammung dafür plädieren, dass Artikel 112 geändert werde solle. Sie stützen sich vor allem darauf, dass der König selbst das Gesetz kritisiert habe.

Die Reaktionen der Regierung sind eher verhalten. Die Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra gab im Juli an, dass sie das Gesetz nicht ändern werde, aber der Missbrauch des Gesetzes verhindert werden müsste. Der Vizepräsident Chalerm Yubamrung versicherte, dass das Gesetz nicht verändert werden würde und dass er vielmehr anstrebe 400 Millionen Baht (circa 10 Millionen Euro) für neue Internet Überwachungssysteme auf zu wenden, um Webseiten mit majestätsbeleidigenden Inhalten zu blocken. Anfang Januar fanden sich Vertreter aller im Parlament vertretenen Parteien zusammen, um sich über den künftigen Umgang mit Artikel 112 abzustimmen. Alle waren sich einig, dass der Artikel in keiner Form geändert werden sollte. Der Leiter des thailändischen Militärs, Prayuth Chan-ocha, verdeutlichte, dass Bestrebungen, Artikel 112 zu ändern, unangemessen seien. Menschen, die unzufrieden mit diesem Gesetz seien, sollten das Land verlassen.

Uncle SMS und weitere Angeklagte

Die Debatte über Artikel 112 des Strafgesetzbuches erreichte bereits im Dezember 2011 einen Höhepunkt, als verschiedene Fälle bekannt wurden, die hohes mediales Interesse auf sich zogen. Der bekannteste Fall in den internationalen Medien ist wohl der von Ampon Tangnoppakul, in den Medien auch Ah Kong oder Uncle SMS genannt. Der 62-jährige Arbeiter wurde Ende November 2011 zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er dem Sekretär des ehemaligen Ministerpräsidenten Abhisit vier majestätsbeleidigende SMS geschickt haben soll. Ampon bestreitet dies getan zu haben, da er nach eigenen Aussagen nicht wüsste, wie man eine Kurzmitteilung auf einem Mobiltelefon schreiben würde. Weitere aktuelle Fälle sind die des in Thailand geborenen US-Bürgers Joe Gorden, der Teile des in Thailand verbotenen Buches „The King Never Smiles“ auf Thai veröffentlicht hat und ins Internet stellte. Ende Dezember wurde die 19-jährige Kantoop wegen majestätsbeleidigenden Kommentaren auf Facebook angeklagt. Nachdem in der Presse bekannt wurde, dass sie diese Kommentare bereits vor zwei Jahren veröffentlicht hat und radikale Gelbhemden seitdem eine Art Hexenjagd auf sie veranstaltet haben (sie musste ihren Namen ändern und ihr wurde an insgesamt drei Universitäten die Aufnahme verwehrt), schaukelt sich das mediale Interesse seit Tagen wieder hoch.

Mobilisierung durch soziale Netzwerke

Die Debatte um das Lese Majeste Gesetz findet in verschiedenen Tageszeitungen statt, aber soziale Medien spielen mindestens eine genauso große Rolle. Twitter, Facebook und andere Internetplattformen werden genutzt, um das Gesetz zu diskutieren, Initiativen zu gründen und Informationen über neuste Fälle auszutauschen. Pavin Chachavalpongpun, thailändischer Akademiker und Mitglied des CCAA 112, rief zu einer Kampagne auf, bei der sich Reformbefürworter den Namen Ah Kong auf die Handinnenfläche schreiben und in der „Free Uncle: Thailand’s Fearlessness“-Facebook-Gruppe ihr Bild veröffentlichen. Zudem hat er gemeinsam mit dem amerikanischen Wissenschaftler David Streckfuss ein 112 Seiten langes Buch mit dem Titel „Free Akong“ zu dem Preis von 112 Baht veröffentlicht. Anfang Dezember demonstrierten mehrere Aktivist/innen 112 Minuten mit Ah Kong Masken vor dem Strafgericht in Bangkok. Außerdem wurde der sogenannte „Fearlessness Walk“, der angstfreie Marsch veranstaltet, bei dem Reformbefürworter mit einem Protestzug durch die Stadt zogen.

Internationale Kritik nicht erwünscht

Die US-Botschaft, sowie die UN und die EU haben sich besorgt über die Strenge der Verurteilungen durch die thailändische Gesetzgebung geäußert. Als Reaktion auf eine „unangemessene“ Äußerung der US-Botschafterin in Bangkok, Kristie Kenney und der UN, die mitteilten, dass die harten Verurteilungen Menschenrechte verletzen würden, gingen auch Pro-Royalisten auf die Straße. Nach einer hitzigen Debatte mit über 3.300 Kommentaren auf der Facebook-Seite der US-Botschaft fanden sich circa 200 Unterstützer der rechts-orientierten Siam Samakkhi (United Siam) Gruppe vor einem UN-Gebäude und später vor der US-Botschaft in Bangkok zusammen, um der Botschafterin eine klare Botschaft zu übermitteln: „Get out!“. In einem öffentlichen Brief forderten sie die UN dazu auf, jegliche Aktivitäten, die die konstitutionelle Monarchie in Thailand gefährden könnten, einzustellen.

Aufgrund des internationalen Drucks, dem hohen öffentlichen Interesse, der Fortsetzung des Chiranuch Premchaiporn Prozesses im Februar und der Tatsache, dass immer mehr Lese Majeste Anklagen folgen werden, ist davon auszugehen, dass dieses Thema auch in diesem Jahr eines der Hauptthemen der thailändischen Politik sein wird.

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Jost Pachaly (Büroleiter), Elaine Haller und Elisabetha Huber, Heinrich-Böll-Stiftung im Südostasien Büro, Bangkok, Thailand